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Atelier Ines Hasenberg
Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit war Siegburg für sein einzigartiges Steinzeug berühmt. Die Siegburger Töpfer verfügten über erstklassige Tonvorkommen, wie sie sonst kaum in Europa zu finden sind; sie entwickelten als erste in der Region die Technik des Steinzeugbrandes, produzierten hochwertige Massenware in streng durchorganisierten Werkstätten, aber auch kostbarste Gefäße mit kunstvollen Auflagen, die es als Prestigeobjekte des Adels und reicher Bürger mit wertvollen Gold-, Silber- und Glasgefäßen aufnahmen. Das Siegburger Steinzeug spielte eine handfeste Rolle in der Zeit der Reformation. Es fand über die Handelswege der Hanse Eingang in den gesamten Ostseeraum und gelangte so auch bis nach Island und Portugal. Auf der Basis dieses kulturellen Erbes, das nirgendwo seinesgleichen hat, gilt der Blick in Siegburg auf die Tradition des keramischen Handwerks und der keramischen Kunst heute auch der bundesweiten und internationalen Welt der zeitgenössischen Keramik, unter anderem gefördert durch den alljährlichen Siegburger Keramik-Markt und den alle zwei Jahre verliehenen Siegburger Keramik-Preis.
In Siegburg selbst gibt es derzeit nur eine Werkstatt, in der das traditionsreiche Handwerk noch bzw. wieder lebendig ist, und zwar in sehr moderner und zugleich sinnlicher Form. Das Atelier Ines Hasenberg zeugt davon, dass hochwertiges Handwerk und künstlerische Freiheit eine stimmige Symbiose miteinander eingehen können. Schon früh kam Ines Hasenberg mit dem irdenen Material in Berührung, im Rahmen eines eher technisch ausgerichteten Schülerpraktikums. Die vielfältigen Möglichkeiten des Tons haben sie von Anfang an fasziniert und in ihr den Wunsch geweckt, dauerhaft damit zu arbeiten. Sie absolvierte eine klassische Ausbildung zur Scheibentöpferin in Römhild / Thüringen und nach freier Mitarbeitertätigkeit in Werkstätten auf Amrum und in Berlin zur Keramikgestalterin in Höhr-Grenzhausen. Weitere Kurse an der Freien Kunstschule in Berlin, in Florenz, Kassel und Südfrankreich erweiterten das Wissen und die Erfahrung im Umgang mit dem Material, mit der Gestaltbarkeit des Tons, mit Engoben und Glasuren, mit Ritztechniken und Brennverfahren. Die einerseits solide handwerkliche Fertigkeit, die Kraft und höchste Präzision erfordert, die klare und stringente Linie ihrer Gefäßformen und die lebendige Vielfalt der Oberflächengestaltung ihrer Werkstücke – mit Ritzungen und Glasuren, Schwämmen und Hölzern, mit Engoben, Unterglasuren und keramischen Ölen, Wachs-, Oxid- und keramischen Bunt-Stiften bearbeitet – haben Ines Hasenberg zahlreiche Auszeichnungen im In- und Ausland beschert.
Nicht nur das gestaltende Prinzip des Drehens hat sie früh und profunde erlernt, auch das Zeichnen und Malen war und ist Ines Hasenberg ein wichtiges gestalterisches Medium. Mit Stiften, Kreide, Tusche oder Kugelschreibern zeichnet sie zufällige Motive und Modelle, an denen sie die Linie, die Proportion oder die Struktur interessiert. Zunächst im Studium und dann auf Reisen pflegt sie das Blitzzeichnen, in Bussen oder Bahnen unterwegs, mit leichter Hand, die Skizze spontaner Situationen oder Szenen. Wenn in wenigen Minuten das mit schnellem Blick Erfasste aufs Papier gebannt werden muss, schult dies das Auge und die Hand. Die Grundstrukturen treten hervor, Beiwerk tritt zurück, was bleibt ist ein Netzwerk von Linien, das zwischen Ahnbarem und Flüchtigem, Konkretem und Dinglichen, zwischen räumlicher Tiefe und linearer Fläche changiert. Was einst bewusst trainiert und erlernt wurde, geht heute wie selbstverständlich von der Hand, in gesetztem Kalkül und intuitiver Verteilung der ornamentartigen Motive zwischen Figurativem und Abstraktion. Auf gedrehten oder gebauten kleineren bis größtmöglichen Formen entstehen im ersten Schritt die Grundstrukturen durch Ritzungen des lederharten Tons. Nach dem Schrühbrand erfolgt dann in einem langwierigen Prozess über Tage und Wochen hinweg die Detailarbeit des Zeichnens und Malens, mit entsprechenden Trocknungsschritten und Verfeinerungen der Oberflächengestaltung, die sich niemals als Dekor, sondern als eigenständige, freie künstlerische Arbeit versteht und erst nach dem Brand bei 1220° tatsächlich sichtbar wird.
Das Geflecht dieser Visualisierung manifestiert sich in der Oberflächengestaltung der Arbeiten von Ines Hasenberg. Sowohl über die angewandten als auch über die großformatigen freien Keramiken, die sich durch klare, meist strenge Formen auszeichnen, ziehen malerische Flächen in gedämpfter Farbigkeit und einander überlagernde Zeichnungen. Es obliegt dem geneigten Betrachter, darin eine Analogie an Gesehenes zu entdecken, wie zum Beispiel bei den „Fensterbildern“, die Ines Hasenberg zusammen mit C.F. Hasenberg für das Rhein-Sieg-Forum in Siegburg gestaltete. Hier tun sich Aussichten in einen architektonischen oder auch landschaftlichen Raum auf, als blicke man aus einem Fenster auf den urbanen Raum der Stadt an der Sieg, auf Gebäudeflanken und stilisierte Bäume, den Fluss, den Berg. Oder man gewährt den sich ineinander verschlingenden Linien, die geritzt, gezeichnet und gemalt sind, meist schwarz, oder auch rot, breit und führend oder zart und wild, das reine Spiel der Abstraktion, in dem farbige Fläche und monochrome Zeichnung miteinander ringen und sich gegenseitig stimulieren. Der Ton fungiert als Bildträger, wie bei bildenden Künstlern die Leinwand oder das Papier.
In den jüngeren Arbeiten nehmen sich die Farben mehr zurück, die Oberflächengestaltung beruhigt sich zugunsten einer großzügigeren Komposition ihrer Details. In der Reduktion des Malerischen und Zeichnerischen liegt eine größere Konzentration auf die Verteilung von gestalteter Fläche und Leerraum. Es ist, als nehme sich hier eine der asiatischen Tradition, der Kalligraphie nahestehende Form des Meditativen Raum. Weniger Farbe, mehr Schwarz (und Rot) auf der zurückhaltend gräulichen Farbfläche des Tons, ein klarer, beruhigter Fluss der Linien und Punkte, weniger Überlagerungen, mehr Konzentration scheinen auch einen inneren Stand der konsequenten künstlerischen wie persönlichen Entwicklung zu spiegeln. Dass Ines Hasenberg sich – mit dem Umzug ihres Ateliers in die Bahnhofstraße – nun auch wieder der Kunst auf dem Papier und der Leinwand zuwendet, stimuliert und bereichert ihr freies künstlerisches Gestalten auf der Keramik. Es scheint, als wären der Malgrund und die Wahl der entsprechenden malerischen und zeichnerischen Mittel für Ines Hasenberg weniger wesentlich als die Möglichkeit, auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Dimensionen – auf kleinformatigem Papier, kleinerer Gebrauchskeramik, auf großformatiger Leinwand oder auf großflächigen freien Keramiken – künstlerisch expressiv tätig zu sein. Und dennoch bleibt sie in ihrem Innersten Keramikerin. Für sie ist die Gestaltung von Raum ein wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit. Schon von seiner Materialität her erfüllt Ton dieses Merkmal zwangsläufig. Ob als angewandtes Stück oder freies Objekt, setzt der Ton eine skulpturale, also dreidimensionale Zäsur im Raum. Durch die Oberflächenbehandlung, wie sie Ines Hasenberg einsetzt, gestaltet sie Raum auch mittels Farbe und Linie. In der Komplexität dessen, was sich auf den Oberflächen ihrer Arbeiten zwischen Ruhe und Expressivität, zwischen Fläche und Linie, Farbe und Leerstelle, Großem und Kleinen abspielt, entwickelt sich die Möglichkeit eines Raumes in der Fläche, eines Vor- und Hintereinander der einzelnen Bildelemente. Diese Komplexität haptisch zu erleben ist eine Wesenheit der Keramik, deren körperliche Erfahrbarkeit im Gegensatz zu Leinwand und Papier immanent gegeben ist. Die Lust am Experimentieren innerhalb ihres umfassenden Erfahrungsschatzes mit dem Ton und all seinen technischen und künstlerischen Facetten bleibt für Ines Hasenberg das Zentrum ihres Tuns. Für den Betrachter bleibt es spannend, wie sich die seit 2020 neu eingeschlagenen Wege in der Keramik und in der Kunst von Ines Hasenberg weiter entwickeln.
Text: Dr. Gundula Caspary, Stadtmuseum Siegburg